Inseln der Legende – mythologische Zufluchtsstätten und kartografische Irrtümer, Wunschdenken und Wirklichkeit… So manche Insel trieb jahrhundertelang nicht nur in den Köpfen der Entdecker sondern auch auf den stetig genauer werdenden (See-)Karten ihr Unwesen, ehe sie schließlich spätestens im Zeitalter der Satellitenbilder endgültig den geographischen Tatsachen ins Auge blicken musste. Doch nüchterne Realität ist ein schlechter Ersatz für sagenumwobene Verlockungen aller Art und das Versprechen von Abenteuer und Exotik. Daher widmen wir uns fünf legendären Inseln und passenden Alternativen: garantiert auf Google Maps zu finden und ohne die Hilfe von keltischen Druiden und altgriechischen Seefahrern zu erreichen.
Wir Mitteleuropäer kennen es: Wir leben hunderte von Kilometern entfernt von den Stränden dieser Welt in der ständigen Sehnsucht nach der Weite des Meeres und den damit assoziierten Hauch von Unendlichkeit. Und unseren Vorfahren in ganz Europa, selbst jenen, die am Meer lebten, ging es ähnlich. Sie träumten von mystischen Inseln, herausragend aus den bedrohlichen, unbekannten Tiefen der Meere, die Nahrung im Überfluss und immerwährende Glückseligkeit versprachen. Die Überfahrt über unbekannte und potentiell gefährliche Gewässer musste man sich meist mit Tapferkeit und Durchhaltevermögen erkaufen, doch wer sich von seinem Ziel nicht abbringen ließ, dem winkte das Paradies.
1. Thule
Der griechische Seefahrer und Händler Pytheas bereiste im 4. Jh. vor Christus die iberische Halbinsel und die Küsten Nordwesteuropas und erwähnte erstmals die Insel. Ihm zufolge befand sich Thule sechs Tagesfahrten nördlich von Britannien.
Da kämen dann wohl die Färoer, die Orkney-Inseln und die Shetland-Inseln in Frage. Wenn man Pytheas’ Aussage Glauben schenkt. Und das entsprechende Vertrauen hat, dass die geografischen Lagebeschreibung im Lauf der Geschichte nicht einem klassischen Fall von „lost in translation“ zum Opfer fiel. Wieso also nicht gleich noch ein bisschen nördlicher? Wir empfehlen die zu Norwegen gehörende Inselgruppe Svalbard (Spitzbergen). Ein Ort, der übersetzt „kühle Küste“ bedeutet, verheißt doch Interessantes! Zerklüftete Küstenlinien mit Fjorden, die Landmasse zu 60 Prozent vergletschert und jede Menge Eisbären – und das ganze mit Kreuzfahrtschiff oder Flugzeug erreichbar. Zu einfach? Dann googlen Sie doch mal „Süd-Thule“.
2. Avalon
Die Ritter der Tafelrunde, Lancelot und Guinevere, Galahad und König Arthur. Pure Magie, keltische Träume und wohl ein Hauch Wahrheit. Seit dem Ende des 12. Jahrhunderts erhebt der britische Ort Glastonbury den Anspruch, das legendäre Avalon zu sein. Der wundersame Ort, an dem der Legende nach Josef von Arimathea den Grundstein für eine Kirche gelegt haben soll, wäre somit ein Hügel im Sumpfland. Literaturfans kennen den Ort als den Schauplatz von Marion Zimmer Bradleys The Mists of Avalon. Nebelumhangen sind auch die Klippen von unserem Alternativvorschlag: die Färöer, nördlich von Großbritannien und quasi auf halbem Weg nach Island. Wenn Sie Drangarnir, die beiden steilen Felsnadeln sehen, werden Sie unweigerlich an Druiden und die Macht keltischer Priesterinnen glauben. Von wegen die Nebel von Avalon. „Faeroese Fog“!
3. St. Brendan’s Isle
Der Namensgeber und irische Priester Brendan lebte und reiste tatsächlich – und das im frühen 6. Jahrhundert nach Christus. Die nach ihm benannte Insel tauchte erst Jahrhunderte nach seinem Tod auf den damaligen Seekarten auf – und zwar vor der Westküste Afrikas, westlich der Kanarischen Inseln. Das verhieß angenehmes Klima, tropische Schönheit und aufgrund der entlegenen Lage ungehobene Schätze. Zu schön, um wahr zu sein. Wie wär’s daher mit einer realen Insel vor der Westküste Afrikas mit angenehmem Klima, tropischer Schönheit und geschichtlichen Schätzen? Bitte sehr. Wir präsentieren Saint Helena, britisches Überseegebiet westlich von Angola: 4,500 herrlich britische Einwohner, ein Flug pro Woche von Johannesburg, Napoleons letzte Residenz und viel Ruhe. Genug Ruhe für viel innere Einkehr. Ob es dann zur Priesterweihe reicht bleibt abzuwarten.
4. Hawaiki
Nein, kein Tippfehler. Ja, das „k“ gehört da hinein. In der polynesischen Mythologie bezeichnet der Name das Ursprungsland aller Polynesier, bevor sie über die Weiten des Pazifiks verstreut wurden. Was das sein könnte, darüber streiten sich die Historiker, Anthropologen und Sprachwissenschaftler gerne und ausdauernd. Bei einigen Wissenschaftlern liegen asiatische Inseln wie Taiwan hoch im Kurs, während für andere Südamerika im Rennen klar vorne liegt. Wie einfallslos und banal. Unsere Empfehlung: Rangiroa, eines der Atolle der entlegenen Inselgruppe Tuamotu. Das zweitgrößte Atoll weltweit bietet mit seinen 80 Kilometern Länge und seiner bis zu 35 Meter tiefen Lagune ein Südseepanorama zum Träumen. Dazu kristallklares Wasser, Palmenhaine, springende Delphine und ein endloser Himmel. Die Sache hat nur einen Haken. Wäre das wirklich der Ursprungsort der polynesischen Völker – wer hätte von hier denn fortgewollt?
5. Atlantis
Die Mutter aller legendären Orte. Und was für eine präzise Lagebeschreibung uns Platon doch liefert: „Jenseits der Säulen des Herakles.“ Geben Sie das mal in Google Maps ein. Atlantis hat die Fantasie von vielen beflügelt. Jules Verne lässt seinen Kapitän Nemo dessen Ruinen am Meeresgrund besuchen. Durchaus ansprechend ist auch die Atlantis-Deutung im Perry Rhodan – Universum: Hier hält der auf der Erde gestrandete außerirdische Prinz Atlan über Jahrtausende seinen Winterschlaf um darauf zu warten, dass die Menschheit zur raumfahrenden Zivilisation wird. Wie auch immer, Atlantis als Sinnbild einer längst untergegangen mythischen Zivilisation lebt weiter. Schade, dass man sich keinen Flug (oder bei Bedarf auch eine U-Boot-Fahrt) dorthin buchen kann. Was also tun? Nach Madeira fliegen. Eine schroffe Steilküste, die legendäre Flora, das atlantische Klima, sechs Seilbahnen, die eine fantastische Aussicht versprechen. Madeira ist nicht nur der letzte Zwischenstopp für moderne Segler, die zur Atlantiküberquerung ansetzen sondern auch Roald Amundsens Fram legte hier als letzter Stopp vor ihrer legendären Südpol-Expedition an. Wie ungern muss die Besatzung die warmen Gefilde verlassen haben?
Fotos:
Spitzbergen by Werner Thiele
Spitzbergen by Werner Thiele
Färoer by Henk Mul – Unsplash
St.Helena by Werner Thiele
Tuamotu by Werner Thiele
Madeira by Adam Smigielski – Unsplash